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Isabel Belherdis. precious time

Günther Oberhollenzer

Wie die Wellen, die sich im See ausbreiten,

ans Ufer schlagen und wieder zurückgeworfen werden,

sollen meine Gedanken auch nicht bei mir bleiben,

sondern stetig durch mich hindurchgehen.


Isabel Belherdis



Die Sehnsucht ist eine treibende Kraft im künstlerischen Schaffen von Isabel Belherdis. Die Sehnsucht nach dem Erspüren des Ichs und des Seins, die Sehnsucht nach Selbsterkenntnis, die Sehnsucht nach der Einheit von Natur und Mensch, auch die Sehnsucht, das große Ganze zu erfassen und zu begreifen. Mit ihren Auto-Performances stellt die Künstlerin ihren eigenen Körper in Dialog zu Raum und Objekt, sie erforscht vielfältige Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustände, hervorgerufen durch Verinnerlichung und Fühlen, durch Konzentration und Bewegung. Performances, Filme und Fotos entstehen, emotional berührend, sinnlich und voller Schönheit.


Schönheit und Gefühl

„Wir sind alle verbunden durch die Fähigkeit, Schönheit zu empfinden“, betont Belherdis, aber auch durch die Welt der Gefühle und die Tatsache, Gefühle zu empfinden, sie ausdrücken und empfangen zu können. Durch das Darstellen ihrer Gefühle könne sie einen mythischen Sehnsuchtsraum entstehen lassen, einen geschützten Raum, in dem alles möglich ist. „Durch die Gefühle konstituieren und mythologisieren wir unsere Welt, durch unsere Gefühle leben wir unsere Surrealität.“ Ausdruck finden diese im Körper und seiner Haltung, in Maskerade und mit sorgsam ausgewählten Objekten, wie etwa immer wieder vorkommende Fäden, Bänder und Spindeln, denen etwas Zartes, Verbindendes innewohnt (aber auch Beschützendes, man denke an Frühwerke, bei denen sich dünne Fäden schützend über den Körper und die Haut der Künstlerin legen). Immer wieder ist das Gesicht verdeckt, die Augen geschlossen, der Blick abgewandt. Die Sicht wird ganz auf das Innere fokussiert. Wunderbar sind die Kupferplatten: je nach Standort ändert sich das Bild, das Licht, die Hautfarbe. Sorgsam in Szene gesetzte Objekte wie Holzhand, Sanduhr, Spindel und Feder lassen zahlreiche Deutungen zu, wobei der meditativ kontemplative Charakter dieser so emotional aufgeladenen, hochästhetischen Bilder den Werken ein vergeistigtes, ja sakrales Antlitz verleiht.

Die Kunstwerke sind schön. Darunter ist aber nicht eine oberflächliche Schönheit zu verstehen, sondern eine Schönheit als das zu erstrebende Ideal, die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis, der Glanz der Wahrheit – so wie der Begriff früher in der Kunstgeschichte Anwendung gefunden hat. Es ist gerade der schonungslose offene Blick auf das ganze Spektrum der Wirklichkeit, der Belherdis’ Kunst „schön“ und so auch „wahr“ und „echt“ macht.


Zeit für Selbstbetrachtung

Die Dauer, das Warten und Erwarten, hat für Belherdis eine spezielle Bedeutung. Die Bilder sind wie aus der Zeit gefallen. Sie brauchen Zeit und fordern uns auf innezuhalten, länger hinzusehen, als wir es gewohnt sind. Sie regen uns an, einfach im „Sein“ zu verharren, stillzustehen in dem Fluss, der uns alle antreibt, und die Rolle des Beobachters einzunehmen, der nicht nur das Werk sondern auch sich selbst beobachtet. Durch das intime Selbstbildnis der Künstlerin können wir so auch auf das eigene Ich schauen. Gerade diese Fähigkeit haben wir in unserer hektischen Zeit leider oft verlernt, und ein Selfie ist wahrlich kein Blick auf unser Inneres. Belherdis’ Werke möchten mehr sein als nur Selbstbetrachtung, die um sie selbst kreisen, ihre Selbstreflexionen sollen auch für andere les- und erfassbar sein und im besten Fall etwa Grundsätzliches, Allgemeingültiges über das Menschsein ausdrücken.


Raum als Bühne

Mit ihrem Körper besetzt Belherdis den Raum, nimmt ihn ein und verändert ihn. Sie verortet sich und ein Illusionsraum entsteht, Bühne für ihre poetische, persönliche Inszenierung. Belherdis vermisst den Raum und die Objekte mit ihrem eigenen Körper, testet mit ihm Erfahrungen aus. Raum ist ohne Körper nicht erfahrbar. Der Mensch nimmt sein Umfeld wahr und konditioniert es, die Bewegung seines Körpers definiert den Raum und hinterlässt Spuren. Der Raum wiederum wird nicht nur als physikalische Größe oder architektonische Form aufgefasst, er ist auch magischer Ort oder beides zugleich. Zeit, Raum, Körper und Beziehung zwischen der Künstlerin und den Zuschauern sind die tragenden Säulen der performativen Kunst. Verbindende Kraft ist die Bewegung, das „Material“ der Körper, ein lebendiger Organismus, im Prozess einer permanenten Transformation. Für ihn kann es keinen Ist-Zustand geben. Er kennt Sein nur als Werden, als Veränderung. Er schafft sich neu und ereignet sich in der Aufführung. So sind Belherdis’ Performances und ihre Fotoarbeiten, in denen sie wie eine Performerin agiert – Ausdruck des Flüchtigen, nicht Greifbaren, des Augenblicks. Die Serendipität ist hierbei von großer Bedeutung. Die Künstlerin avisiert ein Ziel an, aber auf dem Weg dorthin entdeckt sie etwas, das noch kostbarer ist.


Erschaffung einer Welt

Belherdis möchte sich durch Rollenwechsel, Transformation und Metamorphose mit einer anderen Wirklichkeit verbinden, ja eine eigene Welt erschaffen. Ist es nicht gerade das der Triumph der Künstlerin, selbst eine Realität zu stiften? Eine Realität vielleicht gar von höherem Rang als die, in der wir leben? Abbildung von Wirklichkeit kann nicht das Ziel der Kunst sein. Genährt aus Erfahrungen und Wissen ist es das Privileg und die Fähigkeit der Performerin, sich ihre eigene Welt zu imaginieren, mit selbst erwähltem Regelwerk und Gesetz – eine Schöpfung, die zugleich zurückstrahlt auf unser Leben, über unsere Existenz erzählt. Und auch mit ihr verbunden ist. „Ich bin ein Instrument. Ich komponiere Bilder, wie eine Malerin“, betont Belherdis. Dabei treibt sie die romantische Sehnsucht an, die Einheit von Mensch und Natur wiederzufinden. Sie möchte Natur durch sich auszudrücken – ihre Natur, ihre Körperlichkeit, auch das Einfache, Pure, Lebendige – und damit die Natur an sich. Besonders stark ist dieses in sich Hineinschauen (auch indem sie mit dem Narcissosmotiv spielt) und zugleich die Verbindung mit der uns umgebenen Natur im Video Evidence mit Wasser und Spiegelung spür- und erfahrbar. Belherdis spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Wiederzauberung der Welt“, oder vielmehr von dem Sichbewusstmachen, dass die Welt ohnehin schon verzaubert ist, wenn wir imstande sind, sie wahrzunehmen. Jeder ist Schöpfer seiner Welt und kann diese mit einem Zauber versehen. Rätselhaft und voller Zauber ist schließlich auch das Moebiusband – eine wellenartige Fläche, die nur eine Kante und eine Seite hat. Sie ist nicht orientierbar, man kann nicht zwischen unten und oben, außen und innen unterscheiden. Für Belherdis ist es ein Zeitanker, der den Raum auffängt, in dem sich der Raum spiegelt; es ist ein Boot, ein offener Panzer, ein Kokon. Eine wunderschöne Wellenform, stabil und fragil, stark und zart, leicht und schwer zugleich.


Eröffnungsrede am 3. August 2016 in der artmark Galerie, Wien

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